Ephemera sind Zeitblitze der Vergangenheit in Text und Bild. Je mehr Sie davon kennenlernen, umso größer wird das Verständnis für Vergangenheit und Gegenwart.

Ephemera

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Ja
Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes des Norddeutschen Lloyd
23.01.2025 11:14

Die Arnfried war ein 1911 in Dienst gestellter Fracht-und Passagierdampfer der Hamburg-Bremer Afrika Linie, die zum Jahreswechsel 1925-1926 vom Norddeutschen Lloyd komplett, also mit Fahrplan- und Schiffen, übernommen wurde. Da das Schiff aber bereits vor dieser Übernahme bereits Arnfried hieß und in besagtem Liniendienst eingesetzt war, ist die zeitliche Einordnung in die Timeline der Datei Norddeutscher Lloyd nur eine ungefähre. 

Transkript aus Köhlers Flottenkalender 1936, Seiten 106 bis 108.

                                      Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes.

                                                           Von  Dr. med. A. Heuberger.

Der Post- und Frachtdampfer Arnfried liegt in einem kleinen Hafen der liberianischen Küste, oder genauer gesagt, er liegt davor, weil er wegen der geringen Meerestiefe nicht herankommen kann, etwa einen Kilometer von der liberianischen Küste entfernt an einer Stelle, der gegenüber an Land einige Dutzend Negerhütten und ein paar europäisch aussehende Handelshäuser stehen. Die schwarzen Herren dieser „Stadt“ bemerken die Ankunft des Dampfers und suchen auf irgendeine Weise an Bord zu kommen: als Paddler in den Frachtbooten als Kokosnuss- und Ananasverkäufer, als Bleistiftträger des schwarzen Herrn Zollbeamten usw. Sechszig Mann schwarze Besatzung sind während der ganzen afrikanischen Küstenfahrt dauernd an Bord, als Verladearbeiter, als Wasch-männer und Reserveheizer. Einzelne etwas wohlhabendere schwarze Herren und Damen haben sich als Deckpassagiere eingenistet, um mit dem Schiff, als der einzigen Reisegelegenheit, ihre küstenaufwärts oder küstenabwärts wohnenden Verwandten zu besuchen; kurz gesagt, es fehlt nicht an schwarzem Gewimmel und Gekreische an Bord des Dampfers Arnfried.

                                  

Ein kleiner Raum im Mittelschiff ist Apotheke und zugleich ärztliches Sprechzimmer. An der verschlossenen Tür hängt ein Zettel; Dr. H.(euberger), Sprechstunde 9 bis 10, 4 bis 5. Ich komme um 9 Uhr, neugierig, was sich wieder für ein Sammelsurium von schwarzen Patienten eingefunden hat. --- „Oh, oh, Doktor, gib mir Medizin, oh, Doktor, gib mir Medizin zum Trinken, mir Medizin zum Essen, nein, mir allein Medizin“,

So schreien mir etwa ein Dutzend Schwarze in ihrem dürftigen Küsten-Englisch entgegen; dazu wird gedrängt, geschoben und geboxt um den vordersten Platz an der Sprechzimmertür, denn jeder will der Erste sein; ist es nicht gelungen, sich vorzukämpfem so versucht man das Mitleid des „Massa Doktor“ zu erregen, um möglichst rasch an die Reihe zu kommen.

,,Oh, Massa, ich bin der Kränkste von allen, ich bin very, very krank, laß mich zuerst herein, sonst bin ich tot!“ Dazu hält man sich den Bauch, krümmt sich und markiert eine weinerliche Stimme.

Einer ist so glücklich, als Erster dranzukommen.

„Was fehlt dir?“

„Oh, Massa, gib mir Medizin zum Trinken!“

„Sage oder zeige mir, wo du krank bist!“

„Eine Medizin zumTrinken!“

„Jetzt sage mir endlich, was dir fehlt!“

„Medizin für Trinken!“

„Hinaus mit dir, wenn du nicht sagen willst, was dir fehlt!“

„Oh, Massa, eine Medizin zum Trinken für meinen Fuß, mein Fuß ist krank!“ 

Er machte seinen Unterschenkel frei mit einem handtellergroße Tropengeschwür, dass ich ihm kunstgerecht verbinde; aber er bleibt unzufrieden, denn nur die Trinkmedizin hätte ihm geholfen.

Es kommt Patient Nr.2.

„Massa, gib mir Tablette!“

„Für was brauchst du eine Tablette?“

„Mein Kopf ist krank, very krank, gib mir Tablette!“

Ich gebe ihm eine Tablette Pyramidon, und freudestrahlend zieht er ab. Aber seine Freude währt nicht lange; einer seiner schwarzen Stammesgenossen hat die weiße Tablette in seiner Hand entdeckt und schon entreißt er sie dem Verblüfften; im nächsten Moment ist sie auch ihm entrissen, und ein Dritter hat sie sofort in seinem Mund in Sicherheit gebracht. Patient Nummer 2 weiß nicht, ob er heulen oder besser den Dieb verprügeln soll; er entschließt sich zu ersterem, denn das ist das Einfachere. Anstatt des nächsten schwarzen Patienten kommt der I.Offizier und erzählt, er habe eben im Kohlenbunker einen kranken Neger gefunden. Der arme Kerl, der sich wie ein verwundetes Tier verkrochen habe, müsse wohl sehr krank sein, denn Eiter tropfe aus seiner Hose.

Ich unterbreche meine Sprechstunde um den inzwischen an Deck geschafften, schwerkranken Schwarzen zu untersuchen. Nach Entfernung der zerfetzten und verschmutzten Kleidungsstücke sehe ich einen abgemagerten Neger vor mir, dessen linker Oberschenkel auf das zwei bis dreifache des normalen Umfanges angeschwollen ist und mehrere Fisteln zeigt, aus denen wie aus kleinen Brünnlein Eiter fließt. Voll Angst und doch ergeben wartet der arme Kerl der Dinge, die über ihn kommen sollen. Ich lasse ihn auf eine alte, frisch gewaschene Decke lagern; der Obersteward macht eine verhältnismäßig recht gute Narkose, 1. Offizier assistiert, und ich operiere, d. h. ich mache mit Messer und Schere dem in der Tiefe sitzenden Eiter Luft. Wohl an die hundert Neger bilden, in respektvoller Entfernung im Kreise herumstehend, die Wände dieses provisorischen Operationssaales, und doppelt so viele neugierige Negeraugen folgen gespannt jeder meiner Bewegungen. Kam in den nächsten Tagen einer dieser Schwarzen in meine Nähe, so ahmte er mit zwei Fingern eine schneidende Schere nach und rief mir zu: „Oh, Massa, oh, du machst es so! Oh, das ist nix gut für mich, Ich mag das nicht!“

Ich gehe in die Apotheke zurück, um meine unterbrochene Sprechstunde wieder auszunehmen. Fast alles hat sich inzwischen verlaufen, bzw. ob der gesehenen Dinge die eigenen Schmerzen ganz vergessen; nur noch ein verhältnismäßig gut gekleideter schwarzer Passagier wartet auf mich.

„Massa, bist du ein deutscher Doktor?“

„Ja!“.

„,Oh, Massa, ich weiß, die deutschen Doktors sind die besten Doktors auf der Welt.“

„Wer sagt dir das?“

„Das weiß ich; aber sag, Massa, bist du auch ein großer Doktor in deiner Heimat?“

„Selbstverständlich bin ich das!“

„Wieviel Frauen hast du?“

„Ich bin nicht verheiratet, ich habe keine Frau.“

„Was, du hast keine Frau und willst ein großer Mann sein? Oh, du bist kein großer Mann, du bist ein ganz, ganz kleiner Mann. Dann bin ich sogar noch ein größerer Mann als du, denn ich habe wenigstens drei Frauen.“

fährt er stolz in seiner Rede fort.

„Was? Du hast drei Frauen? Erzähltest du mir nicht gestern, daß du durch die Missionare getauft wurdest und ein Christ geworden bist? Und Christen dürfen doch nur eine Frau haben.“

„Du hast ganz recht, Massa, ich habe ja auch nur eine Frau geheiratet, die beiden anderen habe ich mir gekauft! Meine jüngste Frau hat immer Husten, kannst du mir geben Medizin für Husten?“

„Selbstverständlich, hier hast du Medizin, kostet einen Schilling.“

„,Oh, Massa, ich habe kein Geld, ich kann nicht bezahlen.“

„Dann kann ich dir die Medizin nicht geben.“

„Massa, sag noch eines, hast du Medizin für Feind, hast du Schießgewehr?“

„,Ja, ich habe eine Pistole.“

„Oh, verkauf’ mir, Massa, verkauf mir! Was kostet?“

„Das kannst du nicht bezahlen.“

„Oh, Massa, gib mir doch, ich lasse niemand sehen, und ich gebe dir 20 Pfund« (20 englische Pfund sind rund vierhundert Mark.)

Der falsche Kerl, der nicht einen Schilling für Medizin bezahlen wollte, streckt mir eine 20-Pfundnote hin. Ich

aber schiebe ihn sacht zur Tür hinaus. Schusswaffen an Eingeborene zu verkaufen, ist in ganz Afrika verboten und wird schwer bestraft. Die Sprechstunde ist für den Vormittag beendet, und ich bin neugierig, was mir der Nachmittag bringen wird.

Transkriptende. Buchrettung vom 23.01.2025Transkript aus Köhlers Flottenkalender 1936, Seiten 106 bis 108.

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