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Ephemera

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Ja
Taifun! Erlebnisbericht von der BORNEO des NDL von 1911
21.01.2025 11:11

Im Köhlers Flottenkalender, Jahrbuch 1932, berichtet ein Offizier der Besatzung des Dampfers BORNEO (Norddeutscher Lloyd, Baujahr 1902) von einer überstandene Sturmfahrt, in einem Taifun in der China See. Der Bericht bezieht sich auf das Jahr 1911. Der Bericht ist, für mich nachvollziehbar hoch emotional, und atmet im Rückblick auf ein Geschehen 21 Jahre zuvor, eine gehörige Portion Altersmilde. 

Transkript aus Köhlers Flottenkalender, Jahrbuch 1932

                                                               Taifun

                                       Ein Sturmerlebnis in chinesischen Gewässern.

                                                    Von Georg Schulze-Altenburg

Am 10. Oktober 1911 passiert der kleine Küstendampfer Borneo (Bj.1902, 2168 BRT, Norddeutscher Lloyd) die felsige Einfahrt von Hongkong und steuert in das chinesische Meer hinaus. Das 2168 Tonnen große Schiff ist fast ohne Ladung. Dagegen hausen 200 Chinesen als Passagiere mit Frauen und Kindern, Gepäck und Hausrat eng beieinander im Zwischendeck. Das Deck- und Maschinenpersonal sind ebenfalls Chinesen. Nur der Kapitän, zwei Wachoffiziere und drei Maschinisten sind Europäer. Die Fahrt geht südwärts nach Britisch-Nord-Borneo. Sandakan soll in 5 Tagen erreicht werden. Lachender Sonnenschein, kein Wölkchen am Himmel, spiegelglatte See ringsum. Nichts deutet darauf hin, daß von Südosten her mit rasender Geschwindigkeit eine urgewaltige Naturkatastrophe heranbraust. Drinnen im Hafen aber ist jede Kreatur aufgepeitscht und wie besessen von dem einen Wort: Taifun! Droben vom Mast der Wetterwarte schreit seit Stunden mit magischer Gewalt das Signal: „Taifun“ - über der Nordspitze von Luzon - nordwestwärts ziehend. Wie ein teuflischer Dämon ist dieser Alarmruf in das friedliche Hafenbild gestürzt, hat es im Nu in ein einziges, wirbelndes, kreischendes, jagendes Chaos „Flucht“ verwandelt. Der harmlose Signalmast der Wetterwarte wird zur Hetzpeitsche. Jeder Dampfer muß zehnfach vertäut, jede Dschunke und jeder Sampan rechtzeitig in einer windgeschützten Bucht geborgen sein, ehe der Signalreihe „Taifun noch 5 Stunden“ – „noch 3 Stunden“ – „noch eine Stunde“ entfernt, der Kanonenschlag folgt: „Rette sich, wer kann!“

Und wir auf der Borneo:  Wir glaubten dem Wettergott ein Schnippchen geschlagen zu haben. Beim Bekanntwerden der ersten Taifunmeldung in See gegangen, müssen wir nach menschlichem Ermessen beim Einsetzen des Unwetters bereits entronnen sein. Unbeschwert und stolz übernehme ich auf der Kommandobrücke die Wache, mein erster selbständiger Dienst als Wachoffizier in fremden Gewässern. Niemand an Bord ahnt, daß um dieselbe Stunde Hongkong aufatmet. Eine Laune des Schicksals hat die Bahn des Taifuns plötzlich um 90 Grad herumgeworfen. Weitab vom Hafen überquert er nun südwestwärts das chinesische Meer. Und während der Signalmast der Wetterwarte das seltene Ereignis beruhigend der Menschheit vermittelt, stellt man bei der Hafenbehörde achselzuckend fest: Die Borneo kann nicht mehr gewarnt werden. Sie ist bereits außer Signalweite. Ahnungslos steuern wir daher geradewegs dem Verderben entgegen. Wir hatten keine Funken-Telegraphie. In unserem Rücken verschwinden die letzten Felsspitzen der chinesischen Küste unter dem Horizont. Noch steht die Quecksilbersäule des Barometers ruhig und fest. Bald sinkt der Sonnenball in das Meer. Purpurne Flammen brennen am westlichen Himmel. Tiefe Stille ringsum. Schnurgerade zieht die Rauchfahne über unser Kielwasser und ballt sich in dicken, schwarzen Wolken hinter uns. Eintönig rauscht die Bugwelle. Langsam und feierlich zieht die hereinbrechende Nacht die milchigen Schleier der Dämmerung von Osten her hinweg. Majestätisch enthüllt sich in strahlender Klarheit die Ewigkeit der Sternenwelt. Das Barorneter steht.

Gegen Mitternacht erwacht aus tiefem Schlafe das Meer. In langen Intervallen, erst kaum spürbar, ganz allmählich zunehmend, rollt die Borneo nach Steuerbord über, richtet sich auf, neigt sich nach Backbord, gewiegt von langen, sanften, von Nordosten her anrollenden, Dünungswellen. Nun sind auch die Sterne droben verändert, unruhig geworden, wie die Tiere unruhig werden wenn etwas in der Luft liegt. Ein zitterndes Flimmern zerbricht das ruhige Strahlen des Firmaments. Doch das Barometer steht.

Der neue Morgen bringt eine leichte Brise mit. Die Wasserfläche belebt sich mit spielenden Wellen. Frau Sonne zieht, kaum der Tiefe entstiegen, einen zarten Schleier vor das leuchtende Antlitz. Das Barometer fällt!

Wenige Stunden später wissen wir: unsere Rechnung stimmt nicht. Statt uns mit jeder abgelaufenen Meile von der Gefahr zu entfernen, nähern wir uns dem Taifun mit zunehmender Deutlichkeit. Wir wissen nichts davon, daß er auf verändertem Kurs uns den Weg abschneiden will. Wir glauben ihn hinter uns und wollen ihm entrinnen. Die Maschine erhält die Anweisung, zu feuern, was die Kessel halten. Der stampfende Kolbentakt erreicht Höchstgeschwindigkeit. Stetig nimmt der Wind zu, ändert langsam seine Richtung linksherum. Leichte weiße Schaumkämme tanzen über das Wasser. Hier und da hüpft schon ein vorwitziger Spritzer über die Reeling. Immer rascher rollt das Schiff in der schwerer anlaufenden Dünung, immer tiefer holt es nach jeder Seite über. Einzelne Wolken tauchen am Himmel auf. Das Barometer fällt weiter!

Mittag ist vorüber. Vor den Kesseln wird Übermenschliches geleistet. Flucht! Flucht! donnern die Maschinen, rast die Schraube. Flucht, gejagt bäumt sich die Bugwelle am scharfen Vordersteven hoch und schäumt zischend an der Bordwand entlang. In den Lüften regiert schon dieAngst vor dem Kommenden. Angstvoll zerflatternd reißt der Rauch in Fetzen vom Schornsteinrand. Angst bricht auch in einzelnen Schreien aus dem stumpfen Volk, das in der drangvollen Enge des dumpfen Zwischendecks wehrlos ein Opfer der Seekrankheit wird. Das Barometer fällt rascher!

Die See wird gröber. Lange, schneeige Schaumstreifen gischten über das Wasser. Der Wind dreht in immer heftiger werdenden Böen sprunghaft linksherum. Die Wolken ballen sich schwarz und drohend am Himmel. Nur ab und zu blinkt die Sonne kraftlos milchig hindurch. An Deck herrscht fieberhafte Tätigkeit. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird gezurrt und gelascht. Der Schreibstift des Barographen hat bis jetzt eine sanft abfallende Kurve gezeichnet, nun fährt er fast senkrecht nach unten! Es fängt an zu regnen. Der Wind heult in den Wanten. Höher läuft die See. Aus den Schaumkronen werden Brecher. Klatschend schlagen sie gegen die Bordwand, springen über die Reeling an Deck. Um 4 Uhr nachmittags löse ich den ersten Offizier auf der Brücke ab. Er beeilt sich nach unten zu kommen, um noch ein letztes Mal alles auf Seefestigkeit zu prüfen. Ich bin allein auf der Brücke, die auf mehreren eisernen Säulen ruhend, hoch über dem Bootsdeck vor dem Schornstein das Schiff überragt. Der Mittelteil mit der Steuereinrichtung und den Kommandoapparaten wird von einem mit Segeltuch übernagelten Holzdach geschützt. Die vordere Reeling ist bis Brusthöhe ebenfalls mit Holz verschalt. Am Steuerrad steht der chinesische Vor-Mann. Der Wind ändert nicht mehr die Richtung. Die Böen haben sich zum Sturm entfaltet. Eine schwere Wolkendecke hängt tief herab, es regnet in Strömen. Schwer arbeitet das Schiff. See auf See jagt über das Deck. Dnnkler und dunkler wird es, um 5 Uhr ist tiefschwarze Nacht um mich. Der Barograph hat den denkbarsten Tiefstand erreicht. In wildem Zickzack malt er seltsame Zeichen auf das Papier. Heulender Orkan rast über die See. Donnernd prallen gigantische Wogen gegen die Bordwand, schießen steilauf gen Himmel, um im nächsten Augenblick tosend über uns zusammenzubrechen. Ungeheure Fluten rauschen über die Deck. Hochauf bäumt sich das Schiff. Der halbe Kiel taucht aus dem Wasser. Himmelan jagt der Bug. In der nächsten Sekunde stürzt er kopfüber mit jähem Ruck in ein Wellental. Nun ragt das Heck hoch in die Luft. Die Schraube, ihrem Element entrissen, geht rasend durch. Selbst die tiefschleppenden Wolken verwandeln sich in einen reißenden Wasserschwall. Ringsumher dampfender Gischt. Durch Brecher, Regen und Dunkelheit, leuchtet hie und da der rote und grüne Schein unserer Positionslaternen, wenn die See vor ihnen steil hochschießt, fiir mich in meiner Einsamkeit inmitten der entfesselten Elemente eine Quelle der Zuversicht. Längst haben wir die Geschwindigkeit auf langsame Fahrt herabsetzen müssen. Das Steuer ist hart nach Luv gelegt und festgezurrt, damit es den halb von Backbord vorn mit unbeschreiblicher Gewalt anrasenden Wellenbergen nicht gelingt das Schiff quer zur See zu werfen: eingeschlagene Ladeluken, Vollaufen der Räume, Überrollen und --- in wenigen Minuten wäre der Untergang besiegelt.

Das Fauchen und Johlen der Lüfte, das Krachen und Klatschen der Brecher, das Rauschen der überall flutenden Wassermassen betäubt die Ohren. Die Dunkelheit und der peitschende Regen verhindern jede Sicht. Allein, abgeschnitten von Welt und Zeit stehe ich taub und blind hoch über dem Schiff, ohne Ahnung, was auf und unter den Decks passiert, von den wilden, schleudernden aufwärtsfliegenden, zur Hölle abstürzenden Bewegungen des schwer kämpfenden Fahrzeugs phantastisch mitgerissen durch die Tobsucht der Natur. Plötzlich erhält die Borneo einen so gewaltigen Stoß, daß ich schwer auf das Deck hinschlage. Eine gigantische Wand wächst vor uns auf, bricht zusammen und begräbt das ganze Schiff unter sich. Mit Krachen und Splittern geht mein einziger Schutz, die Holzverkleidung der Brückenreeling in Trümmer. Überschüttet von brechenden Brettern, mitgeschwemmt von den Fluten schlage ich gegen das Steuerrad, klammere mich daran fest, richte mich auf - der Steurer ist verschwunden, von der See über Bord gerissen! An irgendwelche Rettungsversuche ist nicht zu denken. Ich kann nicht einmal das Steuerrad loslassen, ohne selbst über Bord zu gehen. Noch versuche ich, mich an der Steuersäule festzubinden, da rasen neue Wassermassen heran. Über mir splittert das Dach. Die durch das aufgenagelte Segeltuch zusammengehaltenen Trümmer verwickeln sich in die Leine, die zum Schornstein führt: Die Dampfpfeife heult auf, stimmt mit schauerlichem Klagen in das Höllenkonzert, unheimlich, nervenzerreißend. Immer lauter wird ihr Tönen, hebt sich über alle Stimmen der Natur, gebietet dem Orkan, zu schweigen, befiehlt den Seen den rasenden Ansturm zu zähmen, und - wahrhaftig es wird still um mich! Nur der Regen stürzt weiter vom Himmel, die aufgewühlte See kocht und brodelt ringsum, doch kein Sturmwind mehr jagt sie gegen das Schiff und darüber hinweg, wir sind im Zentrum des Taifuns. Grabesstille in den Lüften. Nur das laute, tiefe Heulen der Dampfpfeife füllt den weiten, in schwarze Nacht getauchten todes-schwangeren Weltenraum. Langsam löst sich der Krampf der Glieder. Auge und Ohr erwachen aus der Betäubung. Die verkrallten Hände öffnen sich. Ich richte mich auf und weite mit einem tiefen Atemzug die vom Orkan gepreßten Lungen. Ein Schatten taucht neben mir auf: der Kapitän.

Keine Zeit bleibt zum Fragen. Nur wenige Minuten Ruhe sind uns geschenkt. Bei dem schweren Schlingern des Schiffes gelingt es nur mit Mühe unseren vereinten Kräften, zwischen den umherschlagenden Trümmern des Daches die Leine der Dampfpfeife zu erfassen und durchzuschneiden. Das Heulen verstummt, welch eine Erlösung für Ohr, Nerven und Hirn! Ich melde kurz das Überbordgehen des Steuerers. Der Kapitän winkt ab: „Ist nicht das einzige Opfer. Vorläufig ist niemand abkömmlich. Steuern Sie selbst. Und betreten Sie die Brückenenden nicht mehr. Die Stützen sind losgerissen. Gleich wird es wieder losgehen. Ich werde unten dringend benötigt. Aushalten!“

Mit freundlich aufmunterndem Schlag auf meine Schulter verschwindet er. Könnte ich doch erfahren, wie es im Schiff aussieht. Was mag mit den Passagieren sein? Wen hat der Taifun schon verschlungen, und wen wird er noch holen? Wer weiß es? Vielleicht die ganze, brave Borneo und uns alle mit! Kaum 10 Minuten Atempause. Ein pfeifendes Johlen kündet das Ende der Ruhe. Ich schlinge mir schnell das Tau, mit dem das Steuerrad gezurrt ist, um den Leib, und schon sind wir wieder mitten in der Hölle des Orkans und schon reißen die ersten schweren Seen die letzten Trümmer des Brückendaches hinweg. Wo ist die Grenze geblieben zwischen den stürzenden Srömen der niederbrechenden Wolken und den alles überflutenden Meereswogen? Fast ununterbrochen bin ich nur von reißendem Wasser umgeben, minutenlang darunter begraben, kaum noch mit den Füßen auf festem Boden, meist ungewiß, ob denn das Schiff noch unter mir ist, oder ob ich allein auf abgerissener Brücke im Meere treibe. Immer lähmender liegt es auf meiner Brust, preßt mir die Kehle zu, will mich in die Kniee zwingen. Immer schwerer wird es mir den äußersten Willen zum Widerstand aufzubringen. Aber endlich, endlich, scheint auch die Natur zu erlahmen. Die Brecher verlieren an Wucht, schlagen bald nur noch vereinzelt bis zu mir herauf. Der Regen läßt nach. Die Wolkendecke zerreißt, einzelne Sterne blinken tröstlich. Der Lebensmut kehrt wieder. Das Schiff tobt nicht mehr als Spielball der Furien durch den Raum. Es nimmt wieder Fahrt auf. Ich kann mich von dem Tau befreien, zurre das Steuerrad los und bringe den Bug auf den richtigen Kurs. Heller und heller wird es. Die Lüfte beruhigen sich. Der Taifun zieht ab.

Eine Ewigkeit liegt hinter mir als der erste Offizier zur Ablösung erscheint, es ist 9 Uhr abends. Abgeschüttelt und vergessen aber ist das eben Erlebte, jetzt da ich höre und sehe was das Schiff, was die Besatzung, was die Passagiere, in den letzten Stunden durchlebt haben: Zunächst war alles in Ordnung gegangen. Angeklammert an ausgespannte Haltetaue machten mit kurzen Unter-brechungen der Kapitän und der erste Offizier immer wieder die Ronde über die überfluteten Decks. Um 5 Uhr nachmittags schlug das Wetter dem kämpfenden Schiff die ersten Wunden. Ein mächtiger Ventilator wurde von einem Brecher auf dem Vordeck losgerissen und in gewaltigem Schwung in die Fenster des Kartenhauses, das oben auf dem Bootsdeck steht, geschleudert. Die vordere Wand schlug durch, unendliche Wassermassen drangen ein und richteten unter den Seekarten, Chronometern, Sextanten ein wüstes Durcheinander an. Das meiste zur Navigation benötigte Material wurde unbrauchbar, vieles trieb auf und davon. Bald riß ein Boot aus den Krampen, schlug haltlos hin und her, zertrümmerte vollständig. Fast gleichzeitig brachen bei dem zweiten Luvboot die Taljen. Es wurde von der See mit ungeheurer Wucht gegen den hinteren Mast geschleudert, zerschmetterte einen der beiden Ladebäume und ging über Bord. Der niederstürzende Ladebaum durchschlug das festgeschalkte, dreifach mit geteerten Persenningen überzogene Ladeluk 4. Schon faßte der Orkan zu, fuhr behende unter den aufgerissenen Bezug, und nach wenigen Sekunden flogen die Fetzen knatternd durch die Luft. Jetzt war höchste Eile geboten. Die nächsten Minuten entschieden über unser Schicksal. Gelang es nicht, eine neue Persenning über das Luk zu spannen, bevor die rasende See die Lukendeckel erfaßte und hinwegriß, dann lief der Schiffsraum voll und der Untergang war da. Zu allem Unglück lagen die 200 Passagiere gerade unter diesem Luk im Zwischendeck, wimmernd und stöhnend, mit ihrem Gepäck und ihrem Hausrat durcheinanderrollend in der bestialischen Luft des abgeschlossenen Raumes über alle Maßen seekrank, nun auch völlig durchnäßt und überschwemmt von dem eingedrungenen Wasser. Unter dem anfeuernden Beispiel der Offiziere leistete die Mannschaft Übermenschliches. In wenigen Minuten war das Luk gedichtet. Nun hinauf zum Kartenhaus. Oben auf dem Bootsdeck mußten die Leute einen furchtbaren Kampf mit dem tobenden Orkan bestehen. Fünf der Mutigsten drangen bis zur Mitte vor, da donnerte eine alle bisherigen an furchtbarer Wucht übertreffende Sturzsee heran, durchschlug das Maschinenoberlicht und riß die fünf Menschlein mit sich hinaus in den Höllenrachen der Finsternis. Ungeheure Wassermengen stürzten in den Maschinenraum hinab, jagten in gewaltigem Strome in den Heizraum, warfen die überraschten Heizer gegen die Schotten, über die Kohlenhaufen, gegen die Kesseltüren. Im Hilfsmaschinenraum ertrank die Lichtmaschine. Nacht wurde es mit einem Schlage auch in den Innenräumen. Wer dachte in diesem Augenblick an die armen Passagiere? Nicht die Offiziere, die um die Rettung aller rangen, nicht die Maschinisten, die nun die Pumpen, die Kessel, die Maschine allein bedienen mußten, weil die wenigen nicht verletzten Heizer vor Entsetzen völlig versagten. Niemand dachte daran, daß zu allen Qualen und aller Not im Zwischendeck, zu der Seekrankheit, dem schmerzhaften Herumgeworfenwerden mit dem plötzlichen Erlöschen des Lichtes nun das Grauen kam. Eine furchtbare Panik brach aus unter den Passagieren. In dem irrsinnigen Trieb, dem Raum des Schreckens zu entfliehen, hoben die Tollgewordenen einige Lukendeckel vom unteren Laderaum ab. Neun Meter tief gähnte der leere Bauch des Schiffes. Gierig schlang er die Opfer, die in dem entfesselten Toben aus dem Zwischendeck zu ihm in dieTiefe stürzten!

Die Nacht ist vorüber. Vorbei der Taifun. Sonnenschein lacht vom Himmel. Kein Wölkchen trübt das klare Blau,  glatte See atmet ruhig mit langer Düuung. Die Flagge sinkt auf halbmast. Die Maschine stoppt. Fünfundzwanzig Leichen übergeben wir dem chinesischen Meer! Die Luft ist erfüllt von wirbelnden, tanzenden Papierblättchen,  Briefe, den toten Chinesen von ihren Landsleuten zur Fahrt ins Jenseits mitgegeben. Schon quirlt wieder das Schraubenwasser empor und die Arbeit ruft. Die Flagge steigt, flattert lebensbejahend im Winde. Ich halte immer noch die Mütze in der Hand und schaue dorthin, wo sich im wirbelnden Kielwasser die See über denen geschlossen hat, die von uns gegangen sind.

 

Transkriptende. Buchrettung am 21.01.2025

 

 

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